Warum Twitter-Managern in Indien Haft droht
Die Regierung von Premierminister Narendra Modi und der US-Konzern streiten sich um die Grenzen der freien Meinungsäußerung.
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Diese Woche beschäftige ich mich mit der harten Auseinandersetzung zwischen Twitter und der indischen Regierung und Teslas Plänen in Indonesien. Über Feedback zu diesem Newsletter freue ich mich sehr. Schreiben Sie mir an peer@weltreporter.net.
Modis Kampf gegen Twitter
Indiens Regierungschef Narendra Modi bei einem Auftritt in Singapur, Foto: Mathias Peer
Ein Streit zwischen Twitter und der indischen Regierung bedroht nicht nur die Geschäftsaussichten des Social-Media-Konzerns in einem wichtigen Wachstumsmarkt. Der kalifornische Kurznachrichtendienst muss auch um die Sicherheit seiner Mitarbeiter fürchten. Dahinter steht ein offen ausgetragener Konflikt um die Grenzen der Meinungsfreiheit. Die Regierung von Premierminister Narendra Modi drängt das US-Unternehmen dazu, Kritik zu sperren, die sie als Hetze brandmarkt. Twitter will sich nicht zum Zensor legitimer Meinungsäußerungen machen lassen. Im Versuch sich durchzusetzen, drohen Indiens Behörden den lokalen Vertretern von Twitter nun sogar mit Haft.
Wie sehr Regierungen eigenmächtig bestimmen können, was in sozialen Medien zu lesen sein darf und was nicht, entwickelt sich für die Betreiber besonders in Schwellenländern mit autoritären Tendenzen zunehmend zur existenziellen Frage. Von Vietnam über Thailand bis zur Türkei geraten Facebook, Twitter und Co. wegen missliebiger Inhalte massiv unter Druck der Behörden. Den Umgang der Social-Media-Konzerne mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington und der anschließenden Sperre des Ex-Präsidenten Donald Trump betrachten die Regierungen dabei als argumentativ hilfreichen Präzedenzfall.
In Indien, wo Modis Regierung in den vergangenen Jahren verstärkt gegen Kritiker vorging, entzündete sich der jüngste Konflikt mit Twitter an Massenkundgebungen von Bauern: Sie protestieren seit Monaten gegen Modis Landwirtschaftsreformen, die sie als existenzgefährdend ansehen. Die Bauern stürmten kürzlich das "Rote Fort", eine historische Palastanlage in Delhi – es kam dabei auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auf Twitter wurde die Wut der Landwirte unter dem Hashtag "Modi plant den Bauern-Genozid" begleitet.
Mehr als 500 Accounts gesperrt
Die Regierung wertete die Botschaften als hetzerisch und als Gefahr für die öffentliche Ordnung. Sie forderte Twitter auf, mehr als 1100 Nutzerkonten mit entsprechenden Inhalten zu sperren. Erst nach tagelangem Druck willigte Twitter vergangene Woche ein, "mehr als 500 Accounts" zu sperren – im Fall von Journalisten, Aktivisten und Politikern weigerte sich das Unternehmen jedoch, der Anordnung nachzukommen – "gemäß unseres Prinzips, die Redefreiheit zu verteidigen", wie Twitter mitteilte.
Indiens Regierung erklärte daraufhin, man sei von Twitter zutiefst enttäuscht. Das zuständige IT-Ministerium kritisierte, dass der Konzern im Umgang mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington und den Protesten in Delhi komplett unterschiedliche Maßstäbe anlege. Beigelegt ist der Streit nicht – auch die angedrohten bis zu sieben Jahre Haft für lokale Twitter-Manager stehen noch im Raum.
Gleichzeitig versucht die Regierung offenbar Twitters Popularität in dem Land zu untergraben: Mehrere Minister warben in den vergangenen Tagen für eine indische Twitter-Kopie mit dem Namen Koo und versprachen, dort "exklusive Updates" zu veröffentlichen. Das Unternehmen meldete daraufhin eine Verdopplung bei der Zahl seiner aktiven Nutzer von 1,5 auf drei Millionen innerhalb weniger Tage. Für Twitter, das in Indien seinen drittgrößten Markt hat, könnte sich das Unternehmen zum ernsthaften Konkurrenten entwickeln: Der US-Dienst hat in dem Land laut Marktforschern 18 Millionen aktive Nutzer.
Der Streit um die Meinungsfreiheit beschäftigt nun auch das oberste Gericht des Landes. Es forderte am Freitag Twitter dazu auf, zu einer Petition aus Modis hindu-nationalistischer Partei BJP Stellung zu nehmen, die stärkere Einschränkungen für Hassbotschaften fordert. Am Vortag hatte bereits Justiz- und IT-Minister Ravi Shankar Prasad im Parlament eine scharfe Warnung an die Social-Media-Konzerne gerichtet: "Ihr habt Millionen Nutzer in Indien und seid frei, hier Geschäfte zu machen und Geld zu verdienen", sagte er. Das gelte allerdings nur, solange sich die Unternehmen an die indischen Regeln hielten.
Wie auch andere Schwellenländer die sozialen Netzwerke unter Druck setzen, können Sie in diesem Artikel nachlesen, den ich zusammen mit meinem Kollegen Ozan Demircan geschrieben habe.
Indonesien plant den großen Tesla-Coup
Fertigung eines Tesla Model S, Foto: Steve Jurvetson (CC BY 2.0)
Wenn es darum geht, Elon Musk als Investor zu gewinnen, greift Indonesiens Präsident Joko Widodo persönlich zum Hörer. In einem Telefongespräch mit dem US-Unternehmer vor wenigen Wochen bot der Regierungschef von Südostasiens größter Volkswirtschaft sein Land nicht nur als Startplatz für Musks SpaceX-Raketen an. Widodo versuchte den Tesla-Chef auch davon zu überzeugen, seine Elektroauto-Batterien künftig in dem 270 Millionen Einwohner großen Schwellenland zu fertigen.
Das Standortmarketing von höchster Stelle scheint ein Zwischenziel erreicht zu haben: Nach Angaben der indonesischen Regierung hat Tesla nun offiziell seine Bereitschaft für einen Markteinstieg bekundet. Der weltgrößte Elektroautohersteller habe kürzlich einen Investitionsplan eingereicht, teilte ein ranghoher Regierungsvertreter mit. Die freundlichen Worte des Präsidenten sind für Teslas Interesse an dem Land aber wohl nur von nachrangiger Bedeutung. Primär geht es dem Konzern aus Kalifornien um einen Rohstoff, auf den das Unternehmen zunehmend angewiesen ist: Nickel.
Indonesien sieht gute Chancen für die heimische Industrie
Das Schwermetall ist schon jetzt ein wichtiger Bestandteil der Batterien von Elektroautos – und gewinnt weiter an Bedeutung: Unternehmen wie Tesla versprechen sich von Akkus mit erhöhtem Nickelanteil eine höhere Energiedichte und geringere Kosten. Aus Sorge vor Knappheiten rief Musk Bergbaukonzerne bereits vor einem halben Jahr dazu auf, mehr Nickel abzubauen.
Indonesien wittert angesichts der steigenden Nachfrage eine Chance, seiner eigenen Industrie zum Durchbruch zu verhelfen. Das Land steht für rund ein Viertel der globalen Nickelverkäufe und ist damit klarer Weltmarktführer. Die Regierung des Landes will aber nicht mehr länger nur als Rohstofflieferant auftreten, sondern das gefragte Metall im eigenen Land verarbeiten. Widodos Regierung möchte Indonesien dabei als neues Zentrum für die Batterieproduktion etablieren.
Um die Wertschöpfungskette ins Land zu ziehen, verhängte Indonesien bereits vor einem Jahr ein Exportverbot für Nickelerz. Der Rohstoff darf seitdem nur noch ausgeführt werden, nachdem er in inländischen Schmelzanlagen verarbeitet wurde.
Das Werben um Batteriefabriken ist nun der nächste Schritt, der bereits erste Erfolge zeigt: Ende vergangenen Jahres kündigte die Regierung in Jakarta an, dass der chinesische Konzern CATL – der weltgrößte Hersteller von Elektroautobatterien – fünf Milliarden Dollar in eine Fabrik in Indonesien investieren wolle. Die ersten Lithium-Ionen-Batterien sollten dort 2024 hergestellt werden, hieß es. CATL schloss demnach eine Vereinbarung mit dem indonesischen Bergbaukonzern Aneka Tambang. Diese sieht vor, dass das Unternehmen 60 Prozent der Nickellieferungen in dem Land bei der Batterieherstellung innerhalb Indonesiens verwenden muss. "Wir wollen auf keinen Fall, dass sie unser Nickel bekommen und es dann im Ausland verarbeiten", sagte der stellvertretende Investitionsminister Septian Hario Seto.
Was sonst noch wichtig ist:
THAILAND: Südostasiens zweitgrößte Volkswirtschaft ist im vierten Quartal 2020 um 4,2 Prozent geschrumpft. Das teilte die Statistikbehörde des Landes am Montag mit. Der Einbruch war weniger stark als erwartet. Damit deutet sich ein langsames Ende der Wirtschaftskrise an. Im Gesamtjahr 2020 ging die Wirtschaftsleistung als Folge der Coronakrise und des Einbruchs im Tourismusgeschäft um 6,1 Prozent zurück. Damit erlebte Thailand im vergangenen Jahr die schwerste Rezession seit der Asien-Krise 1998.
INDIEN: Twitter-Gründer Jack Dorsey will zusammen mit dem Musiker Jay-Z Bitcoin-Projekte auf dem Subkontinent finanzieren. Er kündigte an, dass dafür 500 Bitcoin – derzeit fast 20 Millionen Euro – zur Verfügung gestellt werden. Das Geld soll auch in Bitcoin-Projekte in Afrika fließen. Ziel sei es, “Bitcoin zur Währung des Internets” zu machen. Wer mehr über Bitcoin lernen möchte, sollte den Newsletter “Blingbling” meines Kollegen Philipp Mattheis abonnieren: https://blingbling.substack.com.
Was noch wichtig wird:
SINGAPUR: Die Regierung des Stadtstaates stellt am Dienstag ihren Haushaltsplan vor. Erwartet werden Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft, die unter den Folgen der Coronavirus-Krise leidet. Die Wirtschaft war im vierten Quartal 2020 um 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft. Für das laufende Jahr rechnen Wirtschaftsforscher mit einer langsamen Erholung.
MYANMAR: Bei einem Gerichtstermin am Mittwoch könnte entschieden werden, ob die von der Militärregierung festgesetzte Anführerin Aung San Suu Kyi wieder freikommt. Ihr wird die illegale Einfuhr von sechs Funkgeräten vorgeworfen – offensichtlich ein Vorwand der Generäle, um die populäre Politikerin aus dem Weg zu räumen. Für Suu Kyis Freilassung protestieren seit Tagen Zehntausende Menschen. In den Straßen von Yangon hat das Militär seine Präsenz zuletzt deutlich erhöht.
Video der Woche: Was passiert in Myanmar?
Anfang des Monats putschte sich in Myanmar das Militär an die Macht. Sollten Sie sich damit bisher erst am Rande beschäftigt haben, bekommen sie in diesem Video eine gute Zusammenfassung darüber, was in dem Land vor sich geht und warum die Entwicklung wichtig ist.
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Viele Grüße aus Bangkok
Mathias Peer
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