Europa muss in der Corona-Krise endlich von Asien lernen
Während Europa zum Lockdown zurückkehrt und Tausende Tote zu beklagen hat, haben viele Länder Asiens Covid-19 besiegt.
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Deutschland schaltet wie viele andere Länder in Europa wieder in den Lockdown-Modus. Das wäre vermeidbar gewesen, hätte man sich Asien zum Vorbild genommen. Mehr dazu gibt es in dieser Newsletter-Ausgabe. Wenn Sie noch nicht zu den Abonnenten zählen, können Sie das hier ändern:
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Europa kann es sich nicht länger leisten, Asiens Vorbildrolle in der Corona-Politik zu ignorieren
Unterwegs mit Maske
Ich lebe in einem Land, in dem das Coronavirus aus dem Alltag verschwunden ist. Während Europa zum zweiten Lockdown zurückkehrt, ist das Leben an meinem Arbeitsort in der thailändischen Hauptstadt Bangkok längst wieder zur Normalität zurückgekehrt. Morgens drängen sich die Menschen dicht an dicht in die U-Bahnen. Abends sitzt man sich in Bars und Restaurants gegenüber – ohne sich dabei Sorgen um die Gesundheit machen zu müssen. Gerade einmal eine Handvoll von Infektionsfällen, die in den vergangenen Monaten außerhalb von Quarantäneeinrichtungen registriert wurden, haben Covid-19 seinen Schrecken genommen.
Die Menschen in Thailand sind nicht die einzigen, die in Zeiten der Pandemie das Privileg der Unbeschwertheit genießen: Die 100 Millionen Vietnamesen haben in ihrer Heimat zuletzt vor zwei Monaten eine lokal übertragene Virusinfektion festgestellt. Taiwan feierte vergangene Woche 200 Tage ohne eine einzige Ansteckung. Neuseeland brachte mehrere kleinere Ausbrüche frühzeitig unter Kontrolle und hatte seit anderthalb Wochen keine lokale Infektion mehr.
Von 1000 Infektionen auf Null
Auch Länder, die zwischenzeitlich hart getroffen waren, schafften die Kehrtwende: Singapur, ein knapp sechs Millionen Einwohner großer Stadtstaat, verzeichnete im April noch mehr als 1000 Neuinfektionen am Tag. Inzwischen ist die Zahl der neuen Covid-19-Fälle auf Null gesunken. Australien, das monatelang mit einer Infektionswelle rund um Melbourne zu kämpfen hatte, meldete den Erfolg am Wochenende: Erstmals seit Juni gab es keine einzige neue Ansteckung.
Die Beispiele zeigen: Die enorme Wucht, mit der die Pandemie Europa erneut getroffen hat, ist kein unvermeidbares Schicksal. Es ist möglich, Covid-19 unter Kontrolle zu bringen – ja sogar zu besiegen – und zu einem mehr oder weniger normalen Alltag zurückzukehren, lange bevor Milliarden von Impfstoffdosen verabreicht werden können. Bisher war Europa nicht bereit, von den Erfolgsstrategien im fernen Osten zu lernen. Doch teure Lockdowns, mehr als 1,6 Millionen neue Infektionen und über 16.000 Tote binnen einer Woche machen deutlich: Europa kann es sich nicht länger leisten, die Vorbildrolle des Asien-Pazifik-Raums zu ignorieren.
Bislang wurde das asiatische Krisenmanagement zu oft vorschnell beiseite geschoben – vor allem mit Blick auf Staaten, die nicht gerade Europas demokratischen Idealen entsprechen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber: Um den Kampf gegen Covid-19 zu gewinnen, braucht man nicht die Befugnisse eines Diktators – eine gute Portion Pragmatismus reicht schon aus. Die Corona-Besieger sind deshalb auch ein bunter Haufen: Von kommunistischen Regimen wie Vietnam über mehr oder weniger autoritäre Länder wie Thailand und Singapur bis zu waschechten Demokratien wie Taiwan, Neuseeland und Australien ist alles dabei.
Die Gemeinsamkeit der Länder: Sie glauben nicht daran, dass ihre Gesellschaften langfristig mit dem Virus leben können. Statt relativ niedrige Ansteckungsraten zu akzeptieren, setzten sie ihre Anti-Corona-Maßnahmen solange fort, bis das Virus komplett verschwunden war. Der australische Bundesstaat Victoria, in dem Melbourne liegt, hob seine strengen Reisebeschränkungen erst vergangene Woche – nach 112 Tagen – auf, obwohl sich die Fallzahlen bereits lange zuvor lediglich im niedrigen zweistelligen Bereich bewegten.
Was sind die entscheidenden Maßnahmen, die man im Asien-Pazifik-Raum anders gemacht hat als in Europa? Meine Antworten darauf können Sie hier in der Fortsetzung dieses Artikels lesen.
Wie die USA kurz vor der Wahl um Verbündete in Asien buhlen
Inmitten eines schwelenden Konflikts mit China und unmittelbar vor der US-Wahl hat Indien militärische Unterstützung aus Amerika bekommen. Bei einem Besuch von US-Außenminister Mike Pompeo und Verteidigungsminister Mark Esper in Neu Delhi unterzeichneten die beiden Staaten vergangene Woche ein Abkommen, das die Schlagkraft von Indiens Raketensysteme erheblich erhöhen soll. Die Vereinbarung sieht vor, dass die indische Armee auf hochpräzise Satellitendaten der Amerikaner in Echtzeit zugreifen kann. Die Regierung in Neu Delhi erhofft sich dadurch einen Vorteil im Grenzstreit mit China, der in diesem Jahr mehrfach eskalierte. Pompeo gab sich hilfsbereiter Partner: Es gehe darum, gemeinsam mit Indien, "den Bedrohungen für Sicherheit und Freiheit durch Chinas Kommunistische Partei" zu begegnen, sagte er bei einem Treffen mit seinem indischen Amtskollegen.
Für den obersten US-Diplomaten war Indien die erste Station auf einer Asien-Tour, die ihn auch nach Sri Lanka, auf die Malediven, nach Indonesien und Vietnam führte. Mit der Tour wollte Pompeo um Verbündete im geopolitischen Wettstreit mit China buhlen. Doch die Regierung in Peking will die Bemühungen der Amerikaner nicht wehrlos hinnehmen: Wie die Amerikaner versucht sie, die Staaten Süd- und Südostasiens enger an sich zu binden – mit einer Charmeoffensive und großzügigen Angeboten.
Bei den umworbenen Ländern zahlt sich das wachsende Interesse der Weltmächte bereits aus. Indonesien bekam von den USA zuletzt 1000 Beatmungsmaschinen im Kampf gegen Covid-19 zur Verfügung gestellt. China versprach Indonesien unterdessen den Zugang zu Millionen von Impfdosen gegen das Coronavirus. Bereits im November will Präsident Joko Widodo Mitarbeiter der Gesundheitsdienste mit dem chinesischen Serum impfen.
Auch in anderen Ländern der Region verstärken Amerika und China ihren Wettbewerb um lokale Partner. Vergangenen Monat brachte Pompeo eine Kooperationsvereinbarung mit den Anrainerstaaten des Flusses Mekong, zu denen unter anderem Kambodscha, Thailand und Vietnam gehören, auf den Weg. Für Entwicklungsprojekte wollen die USA dort mindestens 150 Millionen Dollar zusätzlich ausgeben, hieß es.
Wie wahrscheinlich es ist, dass die Amerika die Region auf ihre Seite ziehen können, habe ich versucht, in einem Artikel im “Handelsblatt” zu beantworten. Sie finden den vollständigen Text hier.
Video der Woche
Interview mit dem König
In Thailand passieren derzeit viele Dinge, die noch vor einem Jahr undenkbar erschienen. Für ein weiteres historisches Ereignis war am Wochenende mein Kollege Jonathan Miller verantwortlich, der für CNN und den britischen Sender Channel 4 aus Bangkok berichtet. Ihm gelang es, König Maha Vajiralongkorn zu einem ersten kurzen Interview seit seiner Krönung zu bewegen. Miller befragte ihn zu den aktuellen Protesten, bei denen auch eine Reform der Monarchie gefordert wird. Die Antwort lautete: “Thailand is the land of compromise.”
Ob es in dem Konflikt wirklich zu Kompromissen kommen wird, ist noch völlig offen. Wir werden die Entwicklungen weiter verfolgen. Updates von mir dazu gibt’s unter anderem auf Twitter.
Ich wünsche Ihnen erstmal eine kompromisslos gute Woche!
Viele Grüße aus Bangkok
Mathias Peer
P.S.: Wie immer würde ich mich sehr freuen, wenn Sie diesen Newsletter weiterempfehlen würden. Abonnieren kann man ihn unter https://mathiaspeer.substack.com.